Sonja Hofbauer & Agnes Zankl

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Sonja Hofbauer
Agnes Zankl – (c) Jochen Grasser

 

 

 

 

 

 

 

Sonja und Agnes sind Mitglieder der Interessensgemeinschaft 14. Jahrhundert, die sich auf die Darstellung von Alltagsleben von Wiener Handwerkern und Bürgern um die Mitte des 14. Jahrhunderts spezialisiert. Dabei ist die zeitgenössische Küche ein Haupt-Standbein der Rekonstruktions- und Vermittlungsarbeit auf sogenannten „Belebungen“ in Freilichtmuseen. Neben dem Nachkochen von Originalrezepten aus historischen Kochbüchern stehen auch grundlegende Techniken der historischen Küche wie Vorratshaltung, Haltbarmachung und die Aufbereitung von Lebensmitteln im Fokus der Arbeit von Küchenverantwortlicher Sonja und ihrem Team. Die Ergebnisse veröffentlichen sie auf ihrer Webseite oder über Social Media.


Obstmus basierend auf einem archäologischen Fund des frühen 14. Jahrhunderts

Am Anfang der Teilnahme, die durch das gezwungener Maßen virtuelle Format für uns sogar erst möglich wurde, stand die Frage: Welches Rezept aus welchem Kochbuch? Zumindest wäre das der klassische Ansatz. Aber nein, wir machen das anders… Wir fangen – wie bei so vielen Rekonstruktionsversuchen der IG14 – mit dem Fund an. Bei unserem Kochexperiment heute handelt es sich um ein Obstmus.

Die Fundlage: Im Rahmen der Ausgrabungen im Marienhof in München wurde 2011/2012 ein gut erhaltener Keramiktopf gefunden, in dem noch ein großer Rest angebranntes Obstmus enthalten war. Die Datierung des Topfes wurde aufgrund der Form, des Tongemischs und einer C14-Analyse der enthaltenen organischen Reste auf das frühe 14. Jahrhundert festgelegt. Also genau unsere Zeitstellung.

http://www.archaeologie-muenchen.de/de/aktuelles/mus-topf/?fbclid=IwAR2yQpUtp417Lugj-nbY665jTh-ROgI5E47tHHNia2KRVw0ktB-cjR9t8Oo

Eine paläobotanische Analyse des angebrannten Rests ergab eine Zusammensetzung aus Kirschen, Pflaumen, Himbeeren oder Brombeeren, eventuell Zwetschken, Äpfeln und Schlehen. Spuren von Honig wurden ebenso nachgewiesen. Eine Mischung, die wir uns sehr gut als Obstmus vorstellen konnten. Allerdings: die Zutaten in ihrer Gesamtheit sind so nicht gleichzeitig frisch erhältlich. Da man Schlehen gut trocknen kann und ohnehin erst nach dem ersten Frost ernten sollte, gehen wir davon aus, dass das gefundene Obstmus wohl im Spätsommer entstanden ist. Uns sind keine getrockneten, aber zumindest tiefgekühlte Schlehen zur Verfügung gestanden, Kirschen konnten wir nur als Kompott bekommen und Zwetschken waren nicht verfügbar, haben dafür aber einige Dörrzwetschken verwendet. Alle anderen Zutaten haben wir frisch verarbeitet.

Ein konkretes Rezept können wir hier leider nicht angeben. Wir gehen davon aus, dass einfach die verfügbaren und eventuell leicht verderblichen Früchte verarbeitet wurden, die gerade zur Verfügung standen. Dementsprechend werden die Gewichtsanteile auch damals je nach Verfügbarkeit stark veränderlich gewesen sein.

Grob kann man aber zu unserer „Rekonstruktion“ und Interpretation angeben:

  • 3 kleine Äpfel
  • 4 Pflaumen
  • 150 Gramm Himbeeren
  • 120 Gramm Brombeeren
  • 120 Gramm Schlehen
  • 150 Gramm Kompottkirschen
  • 50 Gramm Dörrzwetschken
  • 100 Gramm Honig
  • 1 Liter Wasser

Wir haben den Topf, der wie auch im Fund ca. 18,5 cm hoch ist und 2 Liter fasst, ordentlich mit Obst gefüllt und dann mit Wasser aufgegossen. Im Feuer hat das Einkochen ca. 1,5 Stunden gedauert und der Topf war dann noch zu ca. 2/3 gefüllt

Und nun? Die Übereinstimmung mit dem Fundgut hätten wir somit fast geschafft. Da uns unser Topf doch viel wert ist, haben wir das Mus nicht anbrennen lassen. Stattdessen haben wir uns die Frage gestellt, was nun damals mit dem Mus weiter geschehen wäre, wäre es nicht angebrannt und in der Latrine entsorgt worden.

Für uns einigermaßen überraschend war die Tatsache, dass nicht nur die Beerenkerne aufgefunden wurden, sondern auch Apfel-, Kirschen- und Pflaumenkerne.

Gerade bei Äpfeln und Pflaumen ist das Entsteinen keine große Sache, und auch bei Kirschen geht es recht gut von der Hand. Wir haben uns daher doch noch in den Kochbuchhandschiften umgesehen und folgende Rezepte gefunden, die in die Fundrichtung gehen:

Zusammenfassend aus dem Mondseer Kochbuch in der Übersetzung „Speisen wie die Äbte, essen wie die Mönche“; Nauwerck, Arnold
Rezept Nr. 9 – Ein Kirschenmus

Hier werden die Kirschen gekocht, können aber auch durch Schlehen oder Kriechen ersetzt werden. Eine Bindung durch Brot wird hier ebenfalls vorgeschlagen. Außerdem wird das Mus durch ein Sieb gestrichen und vor dem Servieren mit Gewürzen bestreut.

Rezept Nr. 77 – Ein Mus von Kirschen bzw. Nr. 105 – Ein Weichselmus

Auch hier wird das gegarte Obst durch ein Tuch geschlagen und danach mit Eidotter und Semmelbröseln abgebunden.

Rezept Nr. 78 – Ein Kompott von Weichseln

Dieses wird ebenfalls durch ein Tuch geschlagen und dann mit Honig und Galgant versetzt in einem Topf aufbewahrt.

Hier ist interessant zu erwähnen, dass das Würzburger Kochbuch ein Folgerezept zum Weichselkompott enthält, in dem die Weiterverarbeitung zu Latwerge beschrieben wird.

 

Da das Mus im Fund ja bereits im ersten Kochvorgang angebrannt ist, haben wir uns ab nun von den oben erwähnten Rezepten inspirieren lassen.

Wir haben die Fruchtmasse dann durch ein Tuch geschlagen und damit eine schöne sämige Masse erhalten.

Zur Belohnung haben wir uns dann mal eine Portion schmecken lassen.

Den Rest haben wir schlussendlich noch – wie im Rezept Nr. 78 bzw. dem späteren Folgerezept – im modernen Kochtopf mit weiteren 100 Gramm Honig und Galgant weiter eingekocht, die Masse aufgestrichen und trocknen lassen. Nach wenigen Tagen ist daraus festes Latwerg oder auch Fruchtleder geworden.

Da wir den Topf in der zweiten Hälfte des Kochvorgangs nicht zugedeckt hatten, hat das Mus außerdem eine markante Rauchnote vom Feuer übernommen.