Tania Maier

(c) Leah-Morgana Stadler

Mein Interesse für das Mittelalter wurde schon in jungen Jahren geweckt und später dann durch das Spielen von Computerspielen im „medieval setting“ und dem Besuchen von Mittelaltermärkten weiter angefacht.

Da Kochen eine meiner großen Leidenschaften ist war der Weg an das Kochfeuer nicht weit. Heute bin ich Mitglied bei den Schweizer Gruppen Comthurey Alpinum und der Company of St. George.

Mein Interesse liegt im immer neuen Ausprobieren und Experimentieren mit historischen Quellen, die ich in den Rezeptesammlungen des Hoch- und Spätmittelalters finde. Dabei lege ich grossen Wert auf eine saisonale Verwendung der Zutaten.


Jerusalem Speise aus verschiedenen Kochbüchern

Zu Beginn die Mandelmilch:
Mandelmilch ist in der schriftlich überlieferten Küche des Mittelalters allgegenwärtig. In der Fastenzeit, die gut einen Drittel des Jahres ausmachte, wurde Mandelmilch als Ersatz für tierische Milchprodukte verwendet.
Zum Kochbuch von Anna
Die Herstellung von Mandelmilch wird im Rezept „Jerusalem Speise“ nicht ausdrücklich erklärt. Deshalb habe ich das Rezept für Mandelmilch von der Arztwitwe Anna Wecker aus ihrem im 16. Jahrhundert erschienenem Kochbuch „Ein Köstlich new Kochbuch Von allerhand Speisen/an Gemüsen/Obs/Fleisch/Geflügel/Wildpret/Fischen und Gebachens“ verwendet.

Ein Mandelmilch mach alſo:

ZV einer Maß Mandelmilch nim ein vier-
ling eines pfunds/ oder ſo du ſie gern kraͤfftig haſt/
andert halben/ gute ſuͤſſe friſche Mandeln/ die leg in
heiß waſſer/ vnnd ſo bald ſie ſich ſchaͤlen laſſen/ ſo
zeuch jhnen die haut ab/ wirff ſie in friſch brunnen-
waſſer/ laß ſie ein wenig ligen/ dañ waſche ſie ſchoͤn
auß/ ſtampff oder ſtoß ſie inn einem ſteinern Moͤrſel/ mit einem hoͤl-
tzenen ſtoͤſſel/ auffs aller kleineſt: (An etlichen orten hat man ſtein/
darauff man ſie reibt/ iſt wol gut/ wo die ſeynd/ wann die aber nicht
verhanden/ behuͤlff dich wie du kanſt/ allein daß du mit keinem eyſern
ſtoͤſſel ſtoſſeſt/ ſonſten wuͤrden ſie nicht allein ſchwartz/ ſondern auch
bitter.) Jm ſtoſſen beſprengs mehr malen mit Roſen/ oder anderm
waſſer/ damit du ſie durch zwingen wilt/ ſie werden ſonſt oͤlig vnnd
ſchwartz. Thue jhm aber auch nicht zuvil/ dann wañ ſie zu naß wer-
den/ laſſen ſie ſich nicht mehr klein ſtoſſen: Sie muͤſſen aber gar rein
vnnd zart ſeyn/ es iſt ſonſten niche allein vnnuͤtz/ ſondern ſie geben
jhre krafft auch nicht wie ſie ſollen.
Wiltu nun die zum kochen brauchen/ ſo nimb ein gut friſch
brunnenwaſſer oder Milch/ wie ſie von der Kuhe koͤmpt/ reibe die
Mandeln im moͤrſel allgemach mit an/ leg darnach ein ſchoͤn weiß
tuch in eine ſchuͤſſel/ geuß die Mandeln darein/ reibs ein wenig mit
eim loͤffel hin vnd her/ faß das tuch zuſammen/ vnd winde ſie auß ſo
hart du kanſt.
Übersetzung:
Zu einem Liter Mandelmilch nimm ein viertel Pfund oder wenn du sie gerne kräftig hast anderthalb gute süsse frische Mandeln. Die leg in heisses Wasser, und sobald sie sich schälen lassen, zieh ihnen die Haut ab. Wirf sie in frisches Brunnenwasser und lass sie ein wenig liegen. Dann wasche sie schön aus. Stampf oder stoss sie in einem steinernen Mörser mit einem hölzernen Stössel ganz fein. In vielen Gegenden hat man Steine, auf denen man sie reibt; das ist auch gut, wo es die gibt. Wenn die aber nicht vorhanden sind, so behilf dich, wie du kannst, nur dass du nicht mit einem eisernen Stössel stösst, sonst würden sie nicht nur schwarz, sondern auch bitter. Während des Stossens bespreng sie mehrfach mit Rosenwasser oder anderem Wasser, mit dem du sie treiben willst; sie werden sonst ölig und schwarz. Nimm aber auch nicht zu viel, denn wenn sie zu nass werden, lassen sie sich nicht mehr kleinstossen. Sie müssen aber ganz rein und zart sein. Sonst ist es nicht nur unnütz, sondern sie geben auch nicht ihre Kraft, wie sie sollen. Willst du die nun zum Kochen benutzen, so nimm ein gutes frisches Brunnenwasser oder Milch, wie sie von der Kuh kommt, reib die Mandeln im Mörser nach und nach damit an, leg dann ein schönes weisses Tuch in eine Schüssel, giess die Mandel da hinein, reib sie ein wenig mit einem Löffel hin und her, fass das Tuch zusammen und winde sie aus, so fest du kannst.
Quelle: Trude Ehlert: Das Kochbuch des Mittelalters. Rezepte aus alter Zeit, eingeleitet, erläutert und ausprobiert von Trude Ehlert, Zürich/München 1990.
Zubereitung Mandelmilch
Da ich die Mandelmilch zu Hause in meiner Küche zubereitet habe und dabei alle Vorzüge des 21. Jahrhunderts genoss, sieht meine Umsetzung folgendermassen aus.
Zutaten:
  • 200g Mandeln ungeschält
  • 500 ml Wasser
  • sehr wenig Salz
  • 500 ml kochendes Wasser
Die Mandeln werden mit den 5dl kochendem Wasser übergossen und so lange stehen gelassen, bis sich der weiße Kern einfach aus der Schale drücken lässt.
Die geschälten Mandeln grob hacken und dann im Mixer zusammen mit 5dl Wasser ca. eine Minute auf höchster Stufe mixen.
Die Mandelwassermasse in ein Käseleinen oder Nusstuch giessen und die Flüssigkeit fest aus dem Tuch pressen.

 

Jerusalem Speise
Das Rezept für die Jerusalem Speise, ein Fastenmus, findet sich in mehreren Kochbüchern. Ich benutzte als Grundlage die Rezepte aus dem bouch von guoter spîse und dem Mondseer Kochbuch.
bouch von guoter spîse (um 1350):
Entstanden in Würzburg um 1350, war es ein Teil des Hausbuches des Michael de Leone und ist das älteste bekannte Kochbuch in deutscher Sprache. Die Rezepte gliedern sich in zwei Teile, welche möglicherweise auf zwei verschiedene Quellen zurückzuführen sind.
Mondseer Kochbuch (um 1450):
In der Handschrift, entstanden um 1450, befindet sich eine Sammlung von 169 Rezepten. Ein Teil der Rezepte und die Vorrede sind identisch mit dem Buch von guter Speise, wurden aber sprachlich angepasst.
Buch von guter Speise No. 62
Ein muos.
 So du wilt machen ein guot vastenmuos, so nim bersige vnd dicke
 mandelmilich drunder vnd suedez wol in mandelmilich vnd tuo denne
 zvcker dor vf. Daz muos sol heizzen von Jerusalem.
 vnd daz izzet man kalt oder warm.
Mondseer Kochbuch
Ain guot vasten muos ze machen
Nim bersige und dike mandelmilch und tuo zuker dar auf. Das sol haissen  „Von Jherusalem“ und man ist es kalt oder warm.
[Wie man] ein gutes Fastenmus macht
Nimm Barsche und dicke Mandelmilch und tu Zucker hinauf. Das heißt „Von Jerusalem” und man ißt es kalt oder warm.
Aichholzer, Doris (Hrsg., Übers.) „Wildu machen ayn guet essen… – Drei mittelhochdeutsche Kochbücher“. Wiener Arbeiten zur Germanischen Altertumskunde und Philologie, Band 35, Bern 1999.
Zutaten:
  • 200 ml Mandelmilch
  • 100g Flussbarsch (Egli)
  • Zucker
Da ich nichts wegwerfen wollte und ich der Mischung von Fisch und Zucker so überhaupt nicht traute, habe ich mit sehr kleinen Mengen gearbeitet. Den Rest an Mandelmilch habe ich zur modernen Verwendung mit Kaffee in den Kühlschrank gestellt.
Ebenfalls habe ich weißen Rüben-Raffineriezucker verwendet, weil ich keinen lokalen Rohzucker besorgen konnte.
Dicke Mandelmilch
Damit hätte ich starten können aber noch war die Frage zu klären, was ist dicke Mandelmilch?
Dazu habe ich ein kleines Experiment mit der Mandelmilch gewagt. Einen Teil davon habe ich hergestellt wie oben beschrieben, jedoch die Masse aus Wasser und Mandeln nicht durch das Tuch getrieben.
Eine zweite Portion habe ich mit sehr wenig Wasser zubereitet und diese Masse durch meine Käseleine getrieben, um zu sehen, ob diese Flüssigkeit dadurch dicker wird.
Die Menge an Wasser hatte auf die Konsistenz keinen Einfluss, jedoch die Menge an gestossenen Mandeln, welche in der Flüssigkeit verbleibt. Als Ergebnis meiner beiden Experimente hatte ich also eine sehr dicke Mandelmilch mit feinen gemixten Mandelresten und die dünne Mandelmilch ohne Mandelreste.
links mit dicker Mandelmilch (Version 2) – rechts mit dünnflüssiger Mandelmilch (Version 1)
Variante 1 mit dünnflüssiger Mandelmilch
Die dünnflüssige Mandelmilch habe ich gemeinsam mit den Barschen 20 Minuten leicht köcheln lassen bis die Barsche anfingen zu zerfallen und die Mandelmilch ein wenig andickte. Als ich mir sicher war, dass die Fische gar sind, habe ich diese mit einem Löffel fein zerdrückt und in eine Schale gefüllt. Die Milch war zu diesem Zeitpunkt noch sehr flüssig, fast wie eine dünne Suppe. Die Schale ging ungezuckert direkt in den Kühlschrank. Abgekühlt hat die Mandelmilch etwas nachgedickt und man konnte die Masse nun als Mus  bezeichnen. Zum Schluss habe ich das Mus gezuckert – ganz wie im Mittelalter ohne die Menge abzumessen.
Variante 2 mit dicker Mandelmilch
Die dicke Mandelmilch habe ich ebenfalls gemeinsam mit Barschen köcheln lassen. Gegenüber Variante 1 war von Beginn ein deutlicher Unterschied in der Konsistenz sichtbar. Die Mandelmilch dickte viel schneller ein. Auch hier habe ich die Barschstücke nach 20 Minuten Garzeit mit einem Löffel fein zerstossen. Diese Portion habe ich bereits in der Pfanne reichlich gezuckert und danach in eine Schale umgefüllt. Im Gegensatz zu Variante 1 hatte das Gericht bereits in der Pfanne eine Mus-Konsistenz angenommen.
Wie hat es geschmeckt?
Ich war sehr überrascht davon, wie unglaublich lecker die Jerusalem Speise geschmeckt hat. Mandelmilch mit Barsch und Zucker ist etwas, dass ich jederzeit wieder kochen und essen werde. Die warme Variante schmeckte mir besser, meine Tochter (11 Jahre alt) mochte die kalte, dünnflüssigere Speise lieber.

Quellenangaben

Trude Ehlert, Das Kochbuch des Mittelalters, Rezepte aus alter Zeit, eingeleitet, erläutert und ausprobiert von Trude Ehlert, 1990 Artemis Verlag Zürich und München
Aichholzer, Doris (Hrsg., Übers.) „Wildu machen ayn guet essen… – Drei mittelhochdeutsche Kochbücher“, Wiener Arbeiten zur Germanischen Altertumskunde und Philologie, Band 35,  Peter Lang Verlag, Bern 1999
Fotos: Tania Maier
Eine sehr eifersüchtige Selkie.